Das Thema Passivrauchen, seine gesundheitswissenschaftliche Bewertung und die darauf gestützten Nichtraucherschutzgesetze bewegen die Gemüter. Das ist weder verwunderlich noch verwerflich. Auf der einen Seite stehen die Erwartungen von Nichtrauchern, dass sie vor Gesundheitsschäden durch Passivrauchen geschützt werden, auf der anderen Seite die Befürchtungen der Raucher, aus Gründen des Nichtraucherschutzes ungebührlich in ihrer Freiheit eingeschränkt zu werden, an allen Orten rauchen zu können. Außerdem sehen sich Gastwirte in ihrer Berufsfreiheit beeinträchtigt, wenn sie von Rauchverboten in öffentlichen Räumen betroffen sind. Es geht um eine Güterabwägung. Diese Güterabwägung wird in besonderer Weise dadurch erschwert, dass die bedeutsamste gesundheitliche Folge des Passivrauchens, das Auftreten von zurechenbaren Sterbefällen, vor allem durch epidemiologische Studien ermittelt wurde, also auf statistischen Berechnungen beruht. Statistik und Unsicherheit sind zwei Seiten einer Medaille und Unsicherheit wird oft mit Nichtwissen gleichgesetzt. Aber Statistik ist nichts anderes als das Bemühen, Wissen trotz Unsicherheit zu gewinnen, d.h. Die in der Natur des „Risikos“ liegende Unsicherheit einzugrenzen. Neben epidemiologischen Studien beruht die Bewertung der gesundheitlichen Relevanz des Passivrauchens zudem auf einer Vielzahl anderer Quellen, z.B. Messungen zu tabakbedingten Schadstoffen in der Raumluft oder toxikologischen Befunden. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung 1 BvR 3262/07 vom 30.7.2008. diese Evidenzbasis zur Kenntnis genommen.

Es sieht den Schutz der Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren als „überragend wichtiges Gemeinschaftsgut“ und verhilft daher gerade auch unter dem Gesichtspunkt, dass es beim Thema Passivrauchen um eine Risikobewertung geht, konsequenterweise dem Vorsorgeprinzip zur Geltung. Der Gesetzgeber dürfe sich „auf die zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen stützen, nach denen mit dem Passivrauchen schwerwiegende gesundheitliche Risiken verbunden sind“. Er habe auch einen Beurteilungsspielraum bei der „Einschätzung der in den Blick genommenen Gefährdung“. Weitreichende Nichtraucherschutzgesetze sind daher zulässig, auch für die Annahme besonderer Gefährdungen in Gaststätten gebe es „hinreichende tatsächliche Grundlagen“. Das Gericht zieht daraus das Fazit: „Zum Schutz vor Gefährdungen der Gesundheit durch Passivrauchen sind gesetzliche Rauchverbote in Gaststätten geeignet und erforderlich.“ Dabei erkennt das Gericht aber auch an, dass kleine Gaststätten keine Wettbewerbsnachteile durch Rauchverbote haben sollen. Die Nichtraucherschutzgesetze einiger Länder müssen nachgebessert werden. Das Bundesverfassungsgericht hat damit in seiner Betrachtung, wie der wissenschaftliche Risikodiskurs in staatliches Handeln zu übersetzen ist, eine kluge Abwägung vorgenommen.

 Günter Ropohl,“renommierter“ Technikphilosoph, hat kürzlich in seinem Novo-Artikel mit dem Titel „Passivrauchen als statistisches Konstrukt“ die gegenteiligen Konsequenzen gezogen.Er kritisiert generell, dass sich die Politik auf epidemiologische Studien stützt, und sieht darin nur „pseudowissenschaftliche Vorurteile“. Sein Fazit:

„Wissenschaft gibt sich dazu her, die Persönlichkeitsrechte von Millionen rauchender Menschen und die Gewerbefreiheit von Tausenden gastronomischen Betrieben auf dem Altar fiktiver Gesundheitsgefahren zu opfern.Wissenschaft gibt sich dafür her, eine Verbotsgesellschaft zu legitimieren, in der die Gesundheitsobsessionen einer fundamentalistischen Minderheit zum allgemeinen Gesetz erhoben werden …“Solche Wissenschaft, die sich unzuständigerweise in die Politik einmischt, macht sich der totalitären Anmaßung schuldig“.

Warum ein Technikphilosoph, der sich beruflich ausführlich mit Technikfolgenabschätzung und mit dem Risikodiskurs beschäftigt hat, sich in dieser Weise dagegen ausspricht, dass die Politik unter Unsicherheit entscheidet und dabei angesichts der Tragweite der Entscheidung dem Vorsorgeprinzip folgt, ist unverständlich. Mag diese Position noch als theoretisch denkbare, wenn auch praktisch unverantwortliche politische Option durchgehen, so ist es absolut unakzeptabel, dass Ropohl mit seiner Stellungnahme den Anspruch einer „wissenschaftstheoretischen Kritik“ erhebt, aber die methodischen Standards der von ihm kritisierten Epidemiologie und speziell die Forschungslage zum Thema Passivrauchen ignoriert bzw. offenkundig falsch wiedergibt und somit die Regeln wissenschaftlicher Dispute in einer unseriösen Weise unterläuft. Im Folgenden soll dies an einigen Punkten der Argumentation Ropohls gezeigt werden.

 Monokausalität versus multifaktorielle Verursachung:

Ropohl unterstellt der Epidemiologie, dass sie

„Tabakrauch … als einzige Ursache isoliert, und Lungenoder HerzKreislauferkrankungen sowie daraus folgende Todesfälle werden als Wirkungen allein dieser Ursache zugerechnet.Andere mögliche externe Ursachen und interne Bedingungen werden meist gar nicht oder allenfalls unzureichend in Rechnung gestellt“.

Dies sei ein „monokausaler Ansatz, der schon allein dadurch diskreditiert sei, dass viele Raucher nicht an den genannten Krankheiten sterben, während viele Nichtraucher daran sterben. Man kann Günter Ropohl vielleicht zugute halten, dass er als Philosoph nicht mit epidemiologischen Methoden vertraut ist. Ropohl hat offensichtlich nicht verstanden, wie in multivariaten Analysen Wechselwirkungen zwischen mehreren Variablen verrechnet werden, dass die systematische Berücksichtigung von Confoundern geradezu ein unverzichtbares Element epidemiologischer Analysen ist und dass die Bestimmung attributabler Risiken somit mitnichten auf monokausalen Ansätzen beruht. Obige Aussage Ropohls ist schlicht von der Sache her falsch. Der Blick in ein beliebiges Lehrbuch der Epidemiologie hätte hier weitergeholfen.

Hohe und niedrige Risiken:

Ropohl kritisiert, dass die Epidemiologie des Passivrauchens von kleinen relativen Risiken handelt, z.B. dem Wert 1,2. Man ginge ansonsten davon aus, dass das relative Risiko

„… größer als 2 sein muss, wenn man dem betreffenden Risikofaktor Aufmerksamkeit schenken soll; für manche Autoren ist dieser Grenzwert erst bei 4 oder 5 erreicht“ .

Ein relatives Risiko von 1,2 ist in epidemiologischen Studien in der Tat oft nicht einfach dingfest zu machen. Es sind dazu wiederholte gute, auch von der Fallzahl her ausreichende Studien nötig. Aber das spricht nicht dagegen, solche Risiken zu bestimmen. Ob man einem Risikofaktor Aufmerksamkeit schenken soll oder nicht, ist dem relativen Risiko allein nicht anzusehen. Ein relatives Risiko von 5 kann unbedeutend sein, wenn das absolute Risiko gering ist, ein relatives Risiko von 1,2 kann sehr bedeutend sein, wenn das absolute Risiko groß ist, wie das bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs der Fall ist, bzw. wenn die Bevölkerungsgruppe, die einem geringen relativen Risiko ausgesetzt ist, groß ist, wie das beim Passivrauchen der Fall ist. An anderer Stelle relativiert Ropohl auch die epidemiologisch errechneten 3300 Passivrauchtoten zu „gerade einmal 0,4 Prozent der Todesfälle“ in Deutschland . Wie viele müssten es wohl seiner Meinung nach sein, dass sich epidemiologische und politische Aufmerksamkeit lohnt?

Schwellenwerte bei kanzerogenen Stoffen:

Ropohl kritisiert das Deutsche Krebsforschungszentrum für die Aussage, dass für die im Tabakrauch enthaltenen Kanzerogene keine Wirkungsschwellen definiert werden können. Dies sei falsch, schon Paracelsus habe darauf hingewiesen, es komme immer auf die Dosis an. Ropohl widerspricht damit allen geltenden toxikologischen Standards .

Die MAK-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft hatte Tabakrauch schon vor längerer Zeit in die Gruppe der krebserzeugenden Stoffe eingeordnet. Für diese Stoffgruppe wurden bisheraus gutem Grundkeine Schwellenwerte definiert. Potenziell kann z.B. eine einzige Asbest-Faser, kann ein einziges Nitrosamin-Molekül Krebs erzeugen.

Korrelation und Kausalität:

Ropohl unterstellt der Epidemiologie, nicht zwischen Korrelation und Kausalität unterscheiden zu können.

 „Es ist ein Kardinalfehler der Epidemiologie, aus einem rein statistischen Zusammenhang zwischen irgendwelchen Variablen zu folgern, die eine Variable wäre die Ursache der anderen“.

Kein guter Epidemiologe würde das tun, keine Studie, die dies tut, würde ein Review in einer wissenschaftlichen Zeitschrift überstehen, jedes Lehrbuch der Epidemiologie geht auf diesen Sachverhalt ein. Die bekannten Kriterien von Bradford Hill geben an, unter welchen Bedingungen bei einer statistischen Assoziation hypothetisch Kausalität vermutet werden darf. Dazu gehören z.B. die biologische Plausibilität der Befunde, die Konsistenz der Befunde verschiedener Studien oder die Kohärenz mit dem aktuellen Wissensstand. Diese Kriterien sind, was den Zusammenhang zwischen Passivrauchen und Gesundheitsschäden angeht, zweifelsfrei erfüllt.

Mortalität und Prozentrechnen:

Ropohl zeigt eine Tabelle mit den Sterbefällen der Allgemeinbevölkerung („Alle Tode“) und mit den dem Passivrauchen zugeordneten Sterbefällen („PR-Tode“) nach Altersgruppen: Hinzu kommen eigentlich in der Altersgruppe unter 45 Jahren noch 60 Fälle des plötzlichen Kindstods, zusammen ergeben sich dann die 3300 dem Passivrauchen zurechenbaren Sterbefälle. Die prozentuale Verteilung der Sterbefälle interpretiert Ropohl als „Mortalität“ und leitet aus dem Vergleich der beiden Prozentspalten ab, die „Mortalität“ der Passivraucher sei in jungen Jahren niedriger als die der Allgemeinbevölkerung. Aber die dem Passivrauchen zugeordneten Sterbefälle geben nicht die Gesamtmortalität der Passivraucher wieder, sondern die durch das Passivrauchen zusätzlich auftretenden Sterbefälle. Ein grober Irrtum? Bewusste Irreführung? Die beiden Prozent-Spalten so zu interpretieren, ist von der gleichen Logik wie ein Vergleich von Geschwindigkeit und Entfernung. Ist eine Geschwindigkeit von 50 km/h mehr als eine Entfernung von 50 km? Einem Vergleich der Mortalität müssten die bevölkerungsbezogenen Sterberaten beider Gruppen, besser noch die Sterberaten von Passivrauchexponierten und Nichtexponierten zugrunde gelegt werden.

Die Diskussion um den Nichtraucherschutz ist schwierig. Sie wird, wie eingangs gesagt, verständlicherweise emotional geführt, auch die Forschung zu diesem Thema ist sicher nicht frei von Irrtümern, schon gar nicht frei von Interessen. Forschung darf und muss daher auch kritisiert werden. Das gehört zum Wesen der Wissenschaft. Ropohl hat sich mit seinem Beitrag aber nicht um den wissenschaftlichen Fortschritt in diesem Feld verdient gemacht, auch nicht um die von ihm lange Jahre verfochtene „technologische Aufklärung“, die der biopolitische Zugriff auf die Bürger, wie wir ihn in der Prävention beobachten, natürlich ebenfalls nötig hat. Ropohl hat vielmehr die intellektuelle Redlichkeit verletzt. Der Vorwurf des pseudowissenschaftlichen Vorurteils, den er der Epidemiologie macht, fällt auf ihn selbst zurück. Er hat damit zugleich auch das Suchen nach vernünftigen Lösungen für das Miteinander von Rauchern und Nichtrauchern erschwert.

Si tacuisses, philosophus mansisses, Herr Ropohl

Quelle: 

Dr. Joseph Kuhn,  Risikodiskurs und intellektuelle Redlichkeit.
Novo-Argumente Heft 97 : 11 – 12 2008